In unserer Geschichtsstunde blicken wir wöchentlich auf einen historischen Moment der deutschen Olympia-Geschichte. Heute: Der Gold-Erfolg von Gewichtheber Matthias Steiner bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking.
Aktuell geht es bei der EM der Gewichtheber in Split um jedes Kilo. Robert Joachim hat dort völlig überraschend Bronze im olympischen Zweikampf gewonnen. Für uns also Grund genug, auf einen der wohl emotionalsten Momente in unserer jüngeren Olympia-Geschichte zu blicken, als Matthias Steiner 2008 Gold für Deutschland holte – und für seine verstorbene Ehefrau.
Es ist einer dieser Momente, den man nie vergisst. Und einer dieser, bei dem man vor Augen geführt bekommt, dass es so häufig doch um so viel mehr geht, als darum, Medaillen zu gewinnen.
Matthias Steiner wog damals mehr als 105 kg, trat in der höchsten Klasse an und schien wie ein Bär. Ein Bär, der wenige Augenblicke später der stärkste Mann der Welt werden sollte. Der stärkste Mann der Welt – der weinte, wie man es meist nur von kleinen Kindern kennt. Doch das alles hatte seine Berechtigung. Mehr als das. Die Geschichte dazu, die begann bereits vor den Olympischen Spielen 2008.
Steiner ist 1982 in Wien geboren, ein waschechter Österreicher also. Nachdem er bei den Europameisterschaften 2005 gleich bei seinem Anfangsgewicht scheiterte und es in der Folge zu Unstimmigkeiten mit dem österreichischen Verband kam, beantragte der kräftige Sportler nach seiner Heirat im Dezember 2005 die deutsche Staatsbürgerschaft. Bis April 2008 startete er nicht mehr international. In der Zwischenzeit startete Steiner auf nationaler Ebene für den Chemnitzer AC in der Bundesliga.
Doch in dieser Zeit musste Matthias Steiner einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen. Im Juli 2007 verunglückte seine Ehefrau tödlich bei einem Verkehrsunfall. Das Ende bedeutete es für Steiner dennoch nicht – er schlug sich wacker, kämpfte sich trotz des großen Verlustes zurück in die Weltspitze, wurde 2008 bei seinem ersten Auftritt im deutschen Trikot Europameister im Reißen. Außerdem holte er Bronze im Stoßen. Beides übrigens mit neuer persönlicher Bestleistung.
Dann sollte sein größter Triumpf folgen: Bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking wurde er zum stärksten Mann der Welt. 203 kg im Reißen, 258 kg im Stoßen, macht 461 kg, die Steiner bewegte. Der Österreicher unter deutscher Fahne ließ die internationale Konkurrenz im Superschwergewicht eindrucksvoll hinter sich. Dabei hätte es beinahe auch so enden können, wie vier Jahre später in London, als Steiner die Hantel ins Genick fiel, denn er verlor kurz den Fokus – und die Kraft.
Das Einstiegsgewicht, 198 kg im Reißen, bereitete ihm noch keine allzu großen Schwierigkeiten. Fünf Kilogramm mehr bedeuteten dann schon eine neue Bestleistung für ihn. Und dann war die Konzentration dahin. Schon beim Aufwärmen für das Stoßen scheiterte Steiner an 235 kg hinter der Bühne. Im ersten Versuch lies er die 246 kg fallen. Das Gewicht: zu schwer. Die Kraft: zu wenig. Die Konzentration: weg.
Und dann wuchs Steiner über sich hinaus. 248 kg bedeuteten zunächst den sicheren dritten Platz, dann gelangen im auch 258 kg – so viel, wie noch nie zuvor in seinem Leben – Gold! Die Freude platze aus ihm heraus. Freudetrunken sprang er durch die Arena, schlug mehrmals auf den Boden, als könne er es selbst nicht glauben. Er riss die Träger seines Trikots nach unten, zeigte auf den Bundesadler. Sein Sieg: für Deutschland – und noch viel wichtiger: für seine Susann. Nach Ronny Weller 1992 stand endlich wieder ein deutscher Gewichtheber auf dem Podium ganz oben. Doch der Sport war längst zur Nebensache geworden.
Steiners Eltern lagen sich auf der Tribüne in den Armen, feierten den ersten deutschen Erfolg im olympischen Zweikampf im Superschwergewicht, den Erfolg ihres Sohnes, der nie aufgegeben hat. Einen Erfolg, der, so sagte es Matthias Steiner später, aus einer Leistung resultierte, die über seinem Vermögen gelegen habe. Bei der Siegerehrung hatte sich Steiner wieder gefangen. In der einen Hand die Goldmedaille, in der anderen ein Bild seiner verunglückten Frau. Es war der wohl emotionalste Moment der Olympischen Spiele 2008. Ein Moment, den sich sonst wohl nur Drehbuchautoren ausdenken. Ein Moment, bei dem man selbst vor dem Fernseher mitweinen konnte.
Matthias Steiner - ein echter Siegertyp.