Die Premiere sei sportlich und organisatorisch „ein starkes Signal gewesen“, meinte Michael Vesper, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und Mitglied der Exekutive der Vereinigung der Europäischen NOKs (EOC), die Veranstalter sind. „Was wir hier in Baku erlebt haben, wird aber nicht Maßstab für weitere Spiele sein. Es wird anders werden. Jede Ausrichtung ist ein Unikat.“
Er habe seinen Aufenthalt in Baku auch genutzt, um mit Oppositionellen und Vertretern verschiedener Nicht-Regierungsorganisationen zu sprechen, berichtet Vesper: „Was die Haltung zu den Spielen angeht, gab es kein einheitliches Bild.“ Der DOSB werde im Nachgang weitere Gespräche zur Frage der Menschenrechte und der Pressefreiheit in Aserbaidschan führen, unter anderem mit Human Rights Watch, um „unsere Erkenntnisse abzugleichen“.
Die 265-köpfige deutsche Mannschaft sei mit drei sportlichen Zielen nach Baku gereist, sagte Dirk Schimmelpfennig. „Erstens wollten wir die möglichen direkten Olympia-Qualifikationen schaffen. Das ist im Tischtennis durch Dimitrij Ovtcharov und mit einem Quotenplatz im Schießen durch Henri Junghänel gelungen. Zweitens ging es darum, Punkte für die Rio-Qualifikation zu sammeln. Das hat ebenfalls funktioniert, man kann es ein Stück weit auch aus dem Medaillenspiegel ablesen. Drittens war unser Ziel, Athleten aufzubauen und ihnen zu helfen, Erfahrungen zu sammeln. Viele werden von dem hier erleben Spirit und der Atmosphäre profitieren.“
Aus dem Medaillenspiegel ließen sich eine Reihe von Tendenzen erkennen. Vor den letzten Wettkämpfen lag Deutschland, gemessen an den Goldmedaillen, hinter den dominierenden Russen, den Aserbaidschanern und den Briten. Durch die vielen gewonnen Silber- und vor allem Bronzemedaillen lag Deutschland gemessen an der Gesamtzahl der Medaillen auf Rang zwei. Die Breite der deutschen Mannschaft sei auch daran zu erkennen, dass in 16 von 20 Sportarten Medaillen gewonnen werden konnten, konstatierte Schimmelpfennig. In der Bewertung der Finalplätze eins bis acht liegt Deutschland auf Platz zwei hinter den „weit enteilten Russen“, wie Thomas Sinsel, Ressortleiter Olympischer Sommersport, bemerkte. „An der Statistik zeigt sich, dass wir noch intensiver an der Farbe der Medaillen arbeiten müssen“, sagte Schimmelpfennig.
405 Tage vor Beginn der Spiele in Rio (5. bis 21. August 2016) habe Deutschland aktuell 35 Quotenplätze gesichert, berichtete Thomas Sinsel. „Das entspricht 100 Teilnehmern und damit mehr als zum gleichen Zeitpunkt vor London. Dies liegt vor allem an der Qualifikation in den Spielsportarten, wo beide Hockey- und Fußball-Teams ihren Startplatz bereits sicher haben, aber auch andere Sportarten sind auf richtig gutem Niveau.“
Wie dominierend die russische Mannschaft bei diesen Europaspielen war, lässt sich an den Schwimm-Wettbewerben ablesen, die als U19-Europameisterschaft ausgetragen worden sind. „Allein mit den hier gewonnenen Medaillen wären sie an zweiter Stelle hinter sich selbst“, bemerkte Schimmelpfennig. „Die Nachwuchswettbewerbe im Schwimmen und im Wasserspringen und Wasserball waren für den Medaillenspiegel sehr bedeutsam.“
Aus deutscher Sicht nehmen nach Meinung von Dirk Schimmelpfennig vor allem Kanu, Turnen, Tischtennis und Judo einen großen Schub für Rio mit. „Für die Judoka war es die beste EM seit 1992 und der erste Einzel-EM-Titel seit 2008.“ In Deutschland sei lange über den sportlichen Wert der Veranstaltung diskutiert worden. „Es ist uns gelungen, daraus eine wertvolle Veranstaltung für den Leistungssport zu machen. Wir sind mit der sportlichen Bilanz sehr zufrieden.“
Aus EOC-Sicht hätten die Spiele die Erwartungen übertroffen, sagte Michael Vesper. „Es war eine gelungene Premiere. Der fünfte Ring ist jetzt hinzugefügt.“ Bislang gab es nur in Europa keine kontinentalen Spiele. Alle 50 NOKs Europas nahmen teil, 42 gewannen Medaillen. Auch die mediale Wahrnehmung der Spiele in Deutschland sei über den Sender SPORT1 gut verlaufen. Die Spiele hätten zudem dafür gesorgt, dass Aserbaidschan über die Medien 17 Tage im Fokus der Öffentlichkeit stand. „Dabei hat sich wieder einmal gezeigt, dass die Vergabe immer zwei Seiten einer Medaille mit sich bringt. Man kann sich präsentieren und wird gleichzeitig aufmerksam beobachtet, in diesem Fall insbesondere in Deutschland und Großbritannien.“
Aktuell wird nach der Absage der Niederlande ein Gastgeber der Europaspiele 2019 gesucht. Es gebe eine Reihe von Interessenten, berichtete Vesper. „Wir sind dieses Mal im östlichsten Land, das wir im EOC haben. Es wäre wünschenswert, wenn wir mit der zweiten, dritten und vierten Ausgabe zeigen könnten, wie vielfältig Europa ist. Die Spiele werden sich stark daran orientieren, welche Möglichkeiten und Schwerpunkte ein Gastgeberland setzt. Die Vergabe wird in den nächsten Monaten erfolgen.“
Zukünftig müsse auch das Sportprogramm verbessert werden, meinte Dirk Schimmelpfennig: „Das Beispiel Judo, wo zugleich die Europameisterschaften hier stattfanden, kann Beispiel für andere Verbände sein. Wir müssen nicht die Zahl der Veranstaltungen steigern, sondern Synergien schaffen.“ Außerdem müsse angestrebt werden, olympische Kernsportarten wie Leichtathletik und Schwimmen mit Spitzenathleten am Start zu haben. „Wenn sich bei den Spielen mehr Olympiaqualifikationen ergeben, gibt es auch eine bessere Bewertung bei unseren nationalen Verbänden.“ Dafür seien nun die internationalen Verbände gefordert. Bei der Premiere war der Vorlauf dafür zu kurz.
(Quelle: DOSB)
Dirk Schimmpfennig (li.) und Michael Vesper (re.) ziehen eine Bilanz aus den ersten Europaspielen in Baku. Foto: picture-alliance