Es sind besondere Tage für Claudia Pechstein: Am Samstag steht die deutsche Fahnenträgerin bei der Eröffnungsfeier und Rekord-Winterolympionikin bei ihren achten Olympischen Spielen auf dem Eis.
Claudia Pechstein zupfte ihren Rennanzug zurecht, strich mit den Händen über die Kufen und drehte lockere Runden auf dem Eis. Acht Stunden, bevor die fünfmalige Eisschnelllauf-Olympiasiegerin das deutsche Team als Fahnenträgerin bei der Eröffnungsfeier der Winterspiele von Peking am Abend anführte, stand im Training die Vorbereitung auf ein besonderes Rennen an.
Im 3000-m-Lauf am Samstag (9.30 Uhr MEZ), nur einen Tag nach ihrem großen Auftritt als Vorläuferin im "Vogelnest"-Stadion, schreibt Pechstein Geschichte: Als erste Frau wird sie bei ihren achten Winterspielen einen Wettkampf bestreiten - ein Meilenstein, den bislang nur der japanische Skispringer Noriaki Kasai erreicht hat.
Pechstein hält den olympischen Rekord über die 3000 m (3:57,70 Minuten), aufstellt vor 20 Jahren auf dem schnellen Eis in Salt Lake City. Damals holte sie Gold.
Um Medaillen geht es in der modernen Pekinger Eis-Arena "Ice Ribbon" nun nicht mehr. Die Qualifikation, 30 Jahre nach ihrem Olympia-Debüt in Albertville, ist Erfolg genug. "Ich bin das erste Mal unter dem olympischen Motto 'Dabei sein ist alles' unterwegs", hatte sie vor der Abreise nach China gesagt.
Der Weg nach Peking war kein einfacher für die fast 50-Jährige. Das Alter geht auch an ihr nicht spurlos vorbei. "Ich habe sie oft erlebt, wo es ihr keinen Spaß gemacht hat, wo ich gesehen habe, dass es ihr schwer fällt oder sie Rückenprobleme hat", erzählte Gunda Niemann-Stirnemann im SID-Gespräch. Man könne nur den Hut ziehen, sagte die einstige Rivalin, die im von Pechsteins Lebensgefährten Matthias Große geleiteten deutschen Verband als "Performance Managerin" in Erfurt arbeitet.
"Hochachtung", wie es Niemann-Stirnemann nennt, muss Pechstein für ihr sportliches Vermächtnis entgegengebracht werden. Neun Olympia-Medaillen, davon fünf in Gold, hat sie gewonnen. Sie ist sechsmalige Weltmeisterin, stand 116 Mal auf dem Weltcup-Podest. Es sind Zahlen einer unvergleichlichen Karriere.
Differenzierter lässt sich die Person Claudia Pechstein betrachten. Freund oder Feind, schwarz oder weiß - in ihrer Welt ist wenig Platz für Kompromisse: Pechstein unterteilt ihr Umfeld in Gegner und Verbündete. "Siegen oder Sterben" - ihr Credo beim jahrelangen Kampf vor den Gerichten gegen ihre zweijährige Sperre wegen erhöhter Blutwerte (2009 bis 2011) lebte sie auch auf dem Eis.
Pechstein, sagen langjährige Wegbegleiter, brauchte stets eine Gegnerin, ja, ein Feindbild, um sich zu motivieren. Mitunter eskalierten diverse Streitigkeiten. Die "Zickenkriege" mit Rivalinnen wie Anni Friesinger-Postma sind unvergessen, Jahre später kamen aus dem Lager von Stephanie Beckert Mobbing-Vorwürfe.
Beide sind längst in Eisschnelllauf-Rente. Pechstein läuft noch immer. In Peking über 3000 m und im Massenstart, und womöglich darüber hinaus. Eine Fortsetzung ihrer Karriere bis zu den anschließenden Olympia-Wettbewerben 2026 in Mailand/Cortina d'Ampezzo schloss sie zuletzt nicht kategorisch aus.
Quelle: DOSB, SID