Die Weltmeister Florian Wellbrock und Sarah Köhler fehlen zwar, dennoch setzt das deutsche Schwimmteam bei der Kurzbahn-EM Maßstäbe. 40 Athleten wurden vom Deutschen Schwimm-Verband (DSV) für die kontinentalen Titelkämpfe auf der 25-m-Bahn (4. bis 8. Dezember) nominiert, sie sollen in 88 Einzel- und sechs Staffelstarts ins Becken springen.
Gegeizt wird bei den Schwimmer*innen dieser Tage in Schottland garantiert nicht, zumindest nicht mit Superlativen. Dass bei den Kurzbahn-Europameisterschaften in Glasgow insgesamt 539 Athlet*innen (234 Frauen und 305 Männer) aus 49 Ländern um die insgesamt 40 kontinentalen Titel streiten, sorgt zumindest bei der Anzahl der Nationen schon mal für einen Teilnehmerrekord. Im Blickpunkt stehen in der Tollcross Centre im East End der schottischen Metropole dabei internationale Stars wie „Iron Lady“ Katinka Hosszu (HUN), Sprinter Florent Manadou (FRA) oder 1500m-Olympiasieger Gregorio Paltrinieri (ITA). Europas Dachverband LEN schüttet für die zwölf besten EM-Leistungen nach Punktetabelle insgesamt 220.000 Euro aus, davon 20.000 allein für die beste Leistung. Ein Weltrekord (10.000 Euro) oder ein Europarekord (5.000 Euro) würden noch extra belohnt.
Mit 38 EM-Teilnehmer*innen hat Deutschland trotz der erkältungsbedingen Absagen von Nadine Laemmler und Fabian Schwingenschlögl (Neckarsulm) das zweitgrößte Team am Start hinter Italien (41), aber vor Russland (34), Ungarn (23) oder Gastgeber Großbritannien (18). Viele deutsche Nachwuchstalente sollen sich „internationale Routine“ erarbeiten, wie Team-Chef Bernd Berkhahn die Kaderaufstellung umschreibt. Mit zum Beispiel Marco Koch, Christian Diener oder Philip Heintz hat der DSV aber auch gestandene Athleten mit an Bord. Heintz möchte als einer der erneut startenden 13 EM-Sieger von 2017 den Titel diesmal nur zu gern verteidigen.
Für einen guten Start könnten in den Entscheidungen des Auftakttages am Mittwoch Christian Diener (200m Rücken), Anna Elendt und Christian vom Lehn (jeweils 50m Brust) sowie die Staffel über 4x50m Freistil mit Artem Selin, Damian Wierling, Marius Kusch und Ramon Klenz sorgen. „Meine persönlichen Erwartungen gehen ganz klar in Richtung Medaille“, sagt Christian Diener. Und solch eine Haltung kommt nicht von ungefähr: Der Potsdamer hatte in Hinblick auf die Olympischen Spiele in Tokio erst ein umfangreiches Grandlagenausdauertraining absolviert und dann den wohl umfangreichsten und anstrengendsten Wettkampf-Block seiner Karriere folgen lassen – und zwar mit stabiler Ausbeute im Podiumsbereich.
„Das war schon ein harter Herbst“, sagt der Potsdamer Schützling von Trainer Jörg Hoffmann. Aber die so neu erworbene Wettkampfhärte soll in Hinblick auf Olympia ja auch helfen, die eigenen Ambitionen zu erfüllen. „Bei den Rückenschwimmern in der Weltspitze kennt man sich inzwischen ganz gut, leistungsmäßig geht bei allen 2020 aber sicher noch einmal so richtig die Post ab. Und ich will dann unbedingt dabei sein in diesem Finale“, sagt Diener. Deswegen konzentriert der 26-Jährige sich derzeit voll aufs Schwimmen. Für die Zeit nach Olympia hat er sich aber schon ein neues Projekt außerhalb des Pools vorgenommen. „Dann beginne ich eine Ausbildung zum Brandmeister bei der Feuerwehr“, erzählt Diener. Sein gutes Wassergefühl hilft vielleicht ja auch da.
Für die Langbahn-EM vor einem Jahr im Tollcross International Swimming Centre, wo Wellbrocks Stern mit dem Sieg über 1500 m Freistil aufging, hatte Marco Koch die Qualifikation verpasst. Der Brustschwimmer dachte über Rücktritt nach, entschied sich aber für einen Orts- und Trainerwechsel. Und seitdem geht es wieder aufwärts.
"Klar war 2018 eine herbe Enttäuschung", sagt der 29-Jährige, "aber ich bin in diesem Jahr ja sehr gut wieder zurückgekommen." Bei der WM im vergangenen Sommer in Gwangju/Südkorea tauchte Koch mit Platz fünf und einer besseren Zeit als bei seinem WM-Triumph 2015 wieder in der Weltspitze auf. Und bei den Kurzbahnrennen in der neuen Schwimm-Profiliga ISL schlug Koch sogar den britischen Olympiasieger Adam Peaty und den russischen Weltrekordler Kirill Prigoda.
Für den Erfolg hat Koch seine Komfortzone im heimischen Darmstadt verlassen und gemeinsam mit seiner Freundin Reva Foos das Training in Frankfurt aufgenommen. Ex-Bundestrainer Henning Lambertz, der sich im Unfrieden vom DSV verabschiedete, schreibt ihm die Trainingspläne. "Wir haben sehr viel Wert auf Athletik gelegt", sagt Lambertz. Mit der körperlichen Fitness hatte Koch immer wieder so seine Probleme.
Der voll auf Olympia 2020 ausgerichtete Plan verlaufe "bestens", verrät Koch, der die Kurzbahn-EM als "eine Zwischenprüfung" für Tokio betrachtet. Denn noch mehr als die verpasste Langbahn-EM in Glasgow schmerzt ihn etwas anderes: dass er noch keine Olympiamedaille gewonnen hat.
"Ich bin Weltmeister, Europameister, hatte den Weltrekord auf der Kurzbahn. Das wäre ein schöner Abschluss", sagt Koch. Ob nun mit oder ohne Edelmetall: Nach Tokio muss nicht zwingend Schluss sein. "Ich mache so lange mit dem Schwimmen weiter, wie es mir Spaß macht", sagt er.
Doppel-Weltmeister Wellbrock, Kurzbahn-Weltrekordlerin Köhler und Ex-Europameisterin Franziska Hentke lassen die EM aus Gründen der Trainingssteuerung aus. "Einige Topathleten verzichten auf die Kurzbahn-EM, weil sie in ihrem Saisonaufbau unterschiedliche Prioritäten verfolgen", sagte Teamchef Bernd Berkhahn: "Andere werden die Titelkämpfe in Glasgow dazu nutzen, ihre Routine bei internationalen Meisterschaften zu verbessern."
Alle Rennen werden im Livestream unter www.len.eu übertragen, die Vorläufe beginnen nach deutscher Zeit immer 10:30 Uhr und die Finals um 18:00 Uhr.
Autor: DOSB, SID