WM

Mit olympischem Rückenwind zur ersten WM-Medaille seit 2007

Die deutschen Handballer wollen sich vom olympischen Silber-Triumph beflügeln lassen und von Mittwoch an bei der WM wieder Sportdeutschland begeistern.

6 Minuten Lesezeit veröffentlicht am 13. Januar 2025

Letzter Härtetest gegen Brasilien

Seinen wuchtigen Körper, mit dem er zuvor reihenweise brasilianische Torabschlüsse geblockt hatte, hatte Johannes Golla vor den Kameras der Bewegtbild-Medien aufgebaut. Der Kapitän der deutschen Handball-Nationalmannschaft beherrscht es durchaus, einen Gesichtsausdruck aufzusetzen, der eine kritische Nachfrage in etwa so zielführend erscheinen lässt, als würde man einen Löwen fragen, ob man ihm mal eben kräftig an der Mähne ziehen dürfe. Aber weil der 27 Jahre alte Kreisläufer von der SG Flensburg-Handewitt zwar auf der Platte bissig sein kann wie ein hungriges Raubtier, abseits des Handballfelds jedoch freundlich und eloquent daherkommt, galt sein grimmiger Blick in erster Linie der eigenen Leistung. 

Mit 28:26 hatte der Silbermedaillengewinner von den Olympischen Spielen in Paris am Sonnabend in Hamburg gegen Brasilien sein letztes Vorbereitungsspiel auf die WM, die an diesem Dienstag eröffnet wird und für Deutschland am Mittwoch (20.30 Uhr/ARD) im dänischen Herning gegen Polen beginnt, zwar gewonnen. Dazu jedoch war in den letzten 15 Spielminuten eine deutliche Leistungssteigerung, gepaart mit einem klaren Kraftverlust der Gäste aus Südamerika, notwendig gewesen. Zur Halbzeit hatte die Auswahl von Bundestrainer Alfred Gislason noch mit 13:17 hinten gelegen und dabei in erschreckendem Ausmaß freie Torwürfe vergeben, die Brasiliens Torhüter Rosa beinahe zum Helden eines maximal mittelmäßigen Spiels gemacht hätten. 

Nun muss man im Leistungssport für Siege auch im Jahr 2025 nicht um Entschuldigung bitten, zumal der Erfolg schlussendlich sogar als verdient bezeichnet werden konnte. Dennoch war es sehr wohltuend zu vernehmen, dass die Mannschaft den eigenen Auftritt sehr realistisch einzuordnen verstand. „Wenn man so viele freie Würfe vergibt, wird sich das in einem WM-Spiel definitiv rächen. Da müssen wir Lösungen finden“, sagte Kapitän Golla der DOSB-Presse, ehe er seinem Team abschließend verbal ein passendes Zeugnis überreichte. „Wir sind sicherlich nicht auf einem schlechten Niveau, aber auch noch längst nicht da, wo wir im Sommer waren.“ 

Olympia-Silber als Rückenwind oder Last?

Im Sommer, da waren die DHB-Männer beinahe auf dem Olymp ihres Sports angekommen. Bei den Olympischen Spielen in Paris hatten sie lediglich gegen die beinahe unbesiegbar wirkenden Dänen das klare Nachsehen, durften sich nach der 26:39-Finalniederlage aber absolut verdient über Silber freuen. Ein Erfolg, der bei einem Großteil des Kaders bis heute nachwirkt, was in den vergangenen Wochen zu Diskussionen darüber geführt hatte, wie denn nun umzugehen sei mit dem größten sportlichen Erfolg, den diese aktuelle Handball-Generation in ihrer bisherigen Ära erringen konnte. Muss man Olympia abhaken und sich voll auf den nächsten großen Wurf in Richtung des ersten WM-Golds seit 2007 fokussieren? Oder sollte man sich vom Gedanken an die Silberplakette zum nächsten Edelmetall pushen lassen? 

Renars Uscins hat dazu eine klare Meinung. „Wir blicken nur nach vorn und hängen nicht daran, was wir bei Olympia gemacht haben. Wir wissen dadurch, was wir können, aber man sollte Vergangenes immer abhaken und sich auf das Neue konzentrieren“, sagt der 22 Jahre alte Rückraum-Recke von der TSV Hannover-Burgdorf, der sich in Paris als Shooting-Star zum wertvollsten deutschen Spieler entwickelt hatte. Juri Knorr, Spielmacher der Nationalmannschaft und gegen Brasilien mit fünf Toren einmal mehr bester Werfer, sieht es dagegen anders. „Olympia ist bei mir im Kopf und im Herzen, ich denke sehr oft und gern daran zurück“, sagt der 24 Jahre alte Rückraum-Regisseur von den Rhein-Neckar Löwen. Er habe sich oft gefragt, wie es manch einem seiner Teamkollegen so schnell gelungen sei, die Reizüberflutung von Paris zu verarbeiten. „Bei mir hat das sehr lange gedauert und war wirklich schwierig.“ 

Tatsächlich gilt Knorr als Mensch, der zum Grübeln neigt und sich zusätzlich zu der Last, die von außen auf seine Schultern geladen wird, selbst am meisten unter Druck setzt, während Uscins als unbekümmert und deshalb auch als wichtige Entlastung für Deutschlands derzeit begabtesten Offensivkünstler gilt. Dennoch teilen einige Kollegen Knorrs Ansicht, die olympischen Erfahrungen durchaus in die WM einfließen lassen zu wollen. „Ich persönlich nehme Paris als Rückenwind, ich will das gar nicht verdrängen oder abhaken. Wichtig ist nur, dass wir uns auf der Silbermedaille nicht ausruhen. Der letzte Test hat uns doch gezeigt, dass es nicht funktioniert, wenn man nicht immer voll da ist“, sagt Torhüter David Späth. Der 22-Jährige, Teamkollege Knorrs auch bei den Löwen, hatte in Hamburg nach seiner späten Einwechslung für den Kieler Jung-Vater Andreas Wolff mit einigen spektakulären Paraden das Publikum in Wallung gebracht. 

Andreas Michelmann, Präsident des Deutschen Handball-Bundes, findet, dass es auf die Frage nach dem Umgang mit dem Olympia-Erfolg keine klare Richtung geben kann. „Ich sehe keinen Grund dafür, die Medaille abzuhaken, dafür haben die Jungs sie sich zu hart erarbeitet. Wichtig ist jetzt aber für sie und den gesamten deutschen Handball, dass sie diese Leistung bei der WM bestätigen und den Aufwärtstrend festigen.“ Das erklärte Ziel sei, während des Turniers einmal zu fliegen – und zwar nicht aus dem Wettbewerb, sondern nach Oslo. In Norwegens Hauptstadt fände für Deutschland die gesamte K.-o.-Runde statt. „Und wenn wir dort ankommen, dann entscheidet sowieso die Tagesform“, sagt Michelmann, der einzig die Dänen für übermächtig hält. „Aber auch die sind an einem perfekten Tag zu schlagen!“ 

Die Aufmerksamkeit, die Olympiasilber dem DHB beschert hat, habe lange nachgewirkt, sagt der Präsident. Dennoch freue er sich nun auch darauf, dass Deutschland im Januar wieder zum Handball-Land mutiert, nachdem es bei der Heim-EM 2024 mit Rang vier eine bittere Enttäuschung gegeben hatte. „Es tut uns gut, einen so herausgehobenen Termin zu haben, an dem der Fokus nur auf unserem Sport liegt. Auch wenn Olympia durch nichts zu toppen ist“, sagt er. Umso mehr fiebere er deshalb auch bereits dem nächsten Großereignis entgegen, das in Deutschland stattfindet: der Frauen-WM Ende des Jahres, die in Gemeinschaft mit den Niederlanden ausgerichtet und in Trier, Dortmund und Stuttgart gespielt wird. „Wir haben als Gastgeber im Handball einen hervorragenden Ruf und wollen unseren Beitrag dazu leisten, dass Deutschland als Sportnation wahrgenommen wird und wir damit auf dem Weg, uns um die Ausrichtung Olympischer Spiele zu bewerben, weiterkommen, denn wir brauchen so ein Leuchtturmprojekt für unsere gesamte Gesellschaft“, sagt er. 

Die Bedeutung Olympischer Spiele sorgt auch im deutschen Team für Einigkeit in einem weiteren Punkt: Dass olympisches Silber nur durch olympisches Gold zu toppen ist, nicht aber durch eine WM-Medaille. „Olympia ist nur alle vier Jahre, und als Olympiasieger gehst du in die Geschichte ein“, sagt David Späth. Was aber nicht in die Richtung missverstanden werden solle, dass Vorfreude und Motivation in diesen Tagen gemindert seien. „Wir sind sehr dankbar dafür, dass wir jetzt wieder im Mittelpunkt stehen dürfen“, sagt Juri Knorr. „Eine WM-Medaille hat noch keiner von uns. Wir fahren da hin, um sie zu holen“, sagt Renars Uscins. Dann lasst es mal krachen, Männer! 

Die wichtigsten Infos:

Modus: Die Vorrunde wird in acht Gruppen à vier Teams ausgetragen, von denen sich die jeweils besten drei für die Hauptrunde qualifizieren, die in vier Sechserpools ausgespielt wird. Dorthin werden die gegen die ebenfalls qualifizierten Vorrundengegner erspielten Punkte mitgenommen. 

Spielorte: Die WM wird in erstmals in drei Ländern ausgetragen. Herning (Dänemark) beherbergt zwei Vorrunden- und eine Hauptrundengruppe. In Kroatien wird in der Vorrunde in Porec, Varazdin und Zagreb (zwei Gruppen) gespielt, Varazdin und Zagreb sind zudem Gastgeber je einer Hauptrundengruppe. Norwegens Hauptstadt Oslo ist Spielort für zwei Vorrunden- und eine Hauptrundengruppe. Je zwei Viertelfinals und ein Halbfinale werden in Zagreb und Oslo gespielt, Spiel um Platz drei und Finale sind für 2. Februar in Oslo geplant. 

Deutsche Vorrundengegner: Die deutsche Gruppe A ist die einzige Gruppe, in der vier europäische Teams gegeneinander antreten. Los geht es am Mittwoch, 15. Januar, um 20.30 Uhr (ARD) gegen Polen. Zweiter Gegner ist am Freitag, 17. Januar, um 20.30 Uhr (ZDF) die Schweiz, zwei Tage später wartet um 18 Uhr (ARD) zum Abschluss Tschechien. 

Deutscher Kader: Tor: David Späth (Rhein-Neckar Löwen), Andreas Wolff (THW Kiel). Feld: Rune Dahmke (THW Kiel), Justus Fischer (TSV Hannover-Burgdorf), Johannes Golla (SG Flensburg-Handewitt), Marko Grgic (ThSV Eisenach), Timo Kastening (MT Melsungen), Juri Knorr (Rhein-Neckar Löwen), Julian Köster (VfL Gummersbach), Nils Lichtlein (Füchse Berlin), Lukas Mertens (SC Magdeburg), Franz Semper (SC DHfK Leipzig), Christoph Steinert (HC Erlangen), Lukas Stutzke (TSV Hannover-Burgdorf), Renars Uscins (TSV Hannover-Burgdorf), Luca Witzke (SC DHfK Leipzig), Lukas Zerbe (THW Kiel).