
Die Medizinstudentin vom TV Segnitz ist Kapitänin der deutschen Faustballerinnen. Bei den World Games, die in 100 Tagen in Chengdu (China) eröffnet werden, erlebt sie mit ihrer Mannschaft als Titelverteidiger den Saisonhöhepunkt. Die Vorfreude ist riesig.
Vorfreude pur
Ihre Hände werden schwitzen, der Puls wird anschwellen, sie wird Gänsehaut bekommen – aber es ist nicht Angst, die Svenja Schröders Körper in einen Extremzustand versetzen wird an diesem Dienstag, sondern Vorfreude. 100 Tage sind es noch, bis am 7. August in Chengdu, der Hauptstadt der südwestchinesischen Provinz Sichuan, die World Games eröffnet werden. Die Weltspiele der nicht-olympischen Sportarten sind alle vier Jahre der Höhepunkt für all jene Athlet*innen, die aus dem Schatten der Nische normalerweise nicht herauskommen. „Ein Teil der World Games zu sein, das ist für uns alle ein Riesenerlebnis. Man vergisst die Welt um sich herum und ist für elf Tage Teil einer einzigartigen Bubble. Da will jeder dabei sein und alles herausholen“, sagt die 25-Jährige, und sie schaut dabei so beseelt, dass man sie am liebsten sofort auf die Reise nach Asien schicken würde.
Examen, Meisterschaft und dann World Games
Das jedoch wäre fatal, denn bevor die Kapitänin der deutschen Faustballerinnen in Chengdu versuchen wird, den Titelgewinn zu wiederholen, der 2022 bei der bislang letzten World-Games-Ausgabe in Birmingham (USA), an der erstmals auch weibliche Teams im Faustball teilnehmen durften, gelang, möchte sie noch zwei wichtige Meilensteine setzen. Im Juni steht für die Medizinstudentin, die in Regensburg lebt und die Uni besucht, das Examen an. Anfang August, und damit nur wenige Tage vor dem Abflug nach China, will Svenja Schröder dann die am vergangenen Wochenende gestartete Bundesligasaison beim Final-4-Turnier um die deutsche Meisterschaft, das im Rahmen des Multisportevents „Finals 2025“ in Dresden ausgetragen wird, mit dem Titel krönen. Deutsche Meisterin war die Angreiferin, die seit fünf Jahren für den TV Segnitz aus Unterfranken antritt, noch nie, weder im Feld noch in der Halle. „Die kommenden Monate werden extrem hart, aber ich freue mich riesig darauf“, sagt sie.
"Weil mir Faustball wahnsinnig viel zurückgibt."
Es ist dieser so typische Idealismus, den man im Amateursport immer wieder entdecken kann – und der dennoch stets aufs Neue beeindruckt. Für Svenja Schröder, die dreimal pro Woche mit dem Team übt und zusätzlich jeden Tag entweder Ausdauer-, Kraft- oder Lauftraining absolviert, ist die Arbeitsmoral, die sie antreibt, Normalzustand. „Ich betreibe extremen Aufwand für meinen Sport, aber ich habe das nie infrage gestellt, weil mir Faustball wahnsinnig viel zurückgibt“, sagt sie. Verdienen kann selbst die Kapitänin einer der besten Mannschaften der Welt, die ihr Amt seit zwei Jahren bekleidet und es als „riesige Ehre und ebenso großen Ansporn“ betrachtet, mit ihrem Sport nichts. Sie ist schon dankbar dafür, dass die Kosten für Anreise und Unterkunft übernommen werden. „Das ist in anderen Nationen längst nicht Standard. Brasiliens Team zum Beispiel, gegen das wir im vergangenen Jahr in Argentinien das WM-Finale verloren haben, muss alle Kosten selbst tragen, was dazu führt, dass einige der Topspielerinnen nicht mit nach China reisen werden“, sagt sie.
Was ist Faustball?
In Deutschland hat Faustball durchaus eine große Tradition. 1870 wurde das Rückschlagspiel, bei dem fünf Spieler*innen pro Seite gegeneinander antreten und versuchen, den Spielball so über das Netz zu bugsieren, dass das gegnerische Team ihn nicht returnieren kann, hierzulande eingeführt. Die ersten nationalen Meisterschaften wurden 1913 beim Deutschen Turnfest in Leipzig vor mehr als 60.000 Fans ausgetragen. Weil Faustball einst Turner*innen als Ausgleichssport diente, ist die Sparte noch immer dem Deutschen Turnerbund zugeordnet. Aber heute muss Svenja Schröder sehr häufig selbst bei Sportfans bei den Grundlagen beginnen, um diesen ihre Leidenschaft näherzubringen.
Wenn sie also gebeten wird, die Faszination Faustball zu erklären, sprudelt es förmlich aus ihr heraus. „Es ist eine sehr dynamische, abwechslungsreiche Sportart mit unterschiedlichsten Spielertypen. Die Geschwindigkeit wird häufig unterschätzt, es ist außerdem auch ein taktisch durchaus spannendes Spiel. Und was mich besonders abholt: die sehr angenehme, sportlich faire Atmosphäre und das super familiäre Miteinander“, sagt sie. Tatsächlich beginnen die meisten mit Faustball, weil der Sport innerhalb der Familie „vererbt“ wird. Bei Svenja allerdings, die in Nürnberg geboren wurde und aufwuchs, war das ganz anders. „Ich habe bei meinem Heimatverein TV Eibach mit Kinderturnen begonnen und bin dann zufällig auf Faustball gestoßen. Weil ich von Beginn an gut mit Bällen umgehen konnte, bin ich dabeigeblieben.“ Und weil sie schon mit zwölf Jahren zu den Größten im Team zählte, hat die heute 1,80 Meter große Athletin niemals eine andere Position als Angriff gespielt.
Verbal zählt Svenja Schröder allerdings nicht zur Abteilung Attacke. „Natürlich fahren wir nach Chengdu, um wieder den Titel zu holen, aber die Konkurrenz ist stark. Wir wissen, wie schwierig das wird“, sagt sie. Die Erwartungen von außen seien naturgemäß hoch, zumal in Birmingham auch die deutschen Männer, die seit 1985 zum World-Games-Inventar zählen, ganz oben auf dem Siegertreppchen Platz nehmen durften. „Aber wir hatten nach den World Games 2022 einen großen Umbruch im Team, einige Leistungsträgerinnen haben aufgehört, deshalb schauen wir von Spiel zu Spiel“, sagt sie angesichts des ausgeglichen einzuschätzenden Starterfelds von acht Teams.
Im Mai wird der Kader auf zehn Spielerinnen reduziert
Zumal auch noch unklar ist, was sie in China erwartet. Zwar sollen die Sportstätten und auch die Unterkünfte in einwandfreiem Zustand sein, „aber man muss schauen, wie wir mit dem Essen klarkommen, und auch das schwülheiße Klima ist sicherlich gewöhnungsbedürftig“, sagt Svenja Schröder, die zum ersten Mal ins „Reich der Mitte“ reist. Auf die Unterstützung ihrer Eltern, die normalerweise all ihre internationalen Großeinsätze begleiten, muss sie verzichten. „Meinen Vater reizt China als Reiseland gar nicht. Auch bei mir stand es nicht oben auf der Liste, aber umso mehr freut es mich, dass ich nun dank des Sports dort hinkommen werde“, sagt sie.
Die Zuversicht, dass sie im Mai nach einem Lehrgang in Nürnberg die letzte Kaderreduzierung von 14 auf zehn Spielerinnen übersteht, strahlt Svenja Schröder, die weder abergläubisch noch auf irgendwelche Rituale fixiert ist, aus. Schon jetzt freut sie sich auf die vielen Begegnungen mit deutschen und internationalen Athlet*innen, die sie aus Birmingham in bester Erinnerung hat. „Kontakte zu Beachhandball oder Flag Football bestehen bis heute. Ich möchte sehr gern auch in Chengdu wieder andere Wettbewerbe anschauen, habe mich mit dem Programm aber noch gar nicht beschäftigt.“
Gleiches gilt für die Chance, in vier Jahren Heimspiele zu erleben, wenn die World Games in Karlsruhe ausgetragen werden. „Daran denkt sicherlich noch keine von uns, jetzt steht erst einmal Chengdu im Fokus. Aber selbstverständlich wäre es großartig, World Games im eigenen Land zu erleben“, sagt sie. Und wer weiß, ob Faustball im Falle einer erfolgreichen deutschen Bewerbung nicht auch als temporäre Sportart ins Olympiaprogramm rutschen könnte, wenn die Erfolge weiterhin stimmen. „Davon träumt jede Sportlerin und jeder Sportler“, gibt Svenja Schröder unumwunden zu. Doch statt zu träumen kümmert sie sich lieber um die Realität. Und die ist ja auch wirklich aufregend genug.