Am Mittwoch starten die Kanuslalom-Weltmeisterschaften im spanischen La Seu d’Urgell. Mit ihnen enden die nervenaufreibenden, monatelangen internen Qualifikationswettkämpfe der Deutschen um die Olympia-Plätze. Lediglich die Kajakfahrer Ricarda Funk (Bad Kreuznach) und Hannes Aigner (Augsburg) konnten sich vorzeitig ihr Ticket für Tokio 2020 im Team sichern. Doch das ist für beide, wie auch die anderen Athleten, nur die halbe Miete. Nun müssen noch die Quotenplätze erpaddelt werden.
Aber natürlich geht es auch um WM-Medaillen. Mit C1-Spezialist Franz Anton aus Leipzig und Kajakfahrer Hannes Aigner aus Augsburg gehen aus deutscher Sicht gleich zwei Weltmeister an den Start, die ihren Titel verteidigen möchten. Antons schärfster nationaler Konkurrent ist natürlich der Augsburger Sideris Tasiadis, Olympia-Zweiter und WM-Dritter. Und Ricarda Funk ist in diesem Jahr in einer beeindruckenden Form, deklassierte bei ihrem Heim-Weltcup-Sieg in Markkleeberg vor vier Wochen ihre schärfste Konkurrentin, die Ausnahmeathletin Jessica Fox aus Australien. Und auch der jungen, 19-jährigen C1-Spezialistin Andrea Herzog aus Leipzig ist eine Fahrt auf das Podest zuzutrauen. Sie überzeugte in dieser Saison mit stabilen guten Platzierungen.
„Nach einer bisher sehr erfolgreichen Saison haben wir gute Gründe, mit einigem Selbstvertrauen in die Rennen der anstehenden WM zu gehen“, sagt der Präsident des Deutschen Kanu-Verbandes (DKV), Thomas Konietzko. „Wir haben bei den bisherigen Weltcups bewiesen, dass wir in allen vier olympischen Disziplinen um Medaillen mitfahren können. Wir müssen jetzt zum Saisonhöhepunkt nur unser Leistungsvermögen abrufen. Allerdings ist uns bewusst, dass die Konkurrenz stark ist und Kanuslalom nicht immer vorausberechenbar ist. Ich bin optimistisch, dass wir unser Ziel, zwei Medaillen im olympischen Bereich zu erringen und möglichst in allen vier olympischen Finals vertreten zu sein, mit dieser starken Mannschaft erreichen können. Wichtig ist aber auch das Erringen der nötigen Quotenplätze in allen vier Disziplinen für die Spiele im nächsten Jahr in Tokio. Es ist unser Ziel, dass trotz aller Unwägbarkeiten im Slalom alle vier Quotenplätze bei der WM erreicht werden, um möglichst ohne die Bürde einer eventuellen Nachqualifizierung bei der EM im nächsten Jahr schon zeitig das Training auf die Olympischen Spiele 2020 ausrichten zu können.“
Die Strecke in den spanischen Pyrenäen kann dabei vielleicht noch mehr als andere Wildwasserkanäle für Überraschungen sorgen. Die 1992 für Olympia gebaute Strecke hat ein wenig ihre Eigenheiten. Es fließt weniger Wasser den Kanal hinunter – die flachen, schmalen Stellen sind anders zu fahren als woanders. „Die Strecke in Seu ist sehr unscheinbar, aber ich würde als tricky bezeichnen. Sie ist sehr speziell, man muss sich sehr daran gewöhnen, die Kehrwasser sind sehr klein, es ist sehr flach. Man bleibt hin und wieder mit dem Heck hängen“, erklärt Ricarda Funk. Besonders schwerere Athleten könnten dabei ein Problem haben. Franz Anton sieht für sich als leichten Sportler einen Vorteil in Seu. „Dadurch kann ich schneller fahren – hoffe ich zumindest“, sagt er lächelnd. Doch auch Tasiadis, der im Vergleich zu Anton zehn Kilogramm mehr auf die Waage bringt, ist zuversichtlich. „Die Strecke liegt mir eigentlich ganz gut. Man muss anders fahren als auf anderen Strecken. Das heißt, das Boot nicht so sehr im Wasser versenken und das Paddel an manchen Stellen herausnehmen, sonst bleibt man unten mit dem Paddel hängen“, sagt der Augsburger. „Seu ist dafür bekannt, dass man einen guten Lauf haben muss, um die nächsten Runden zu erreichen. Man darf sich keine kleinen Fehler erlauben, schon gar keine Zweier“, meint Funk.
Die Chancen, in allen Disziplinen Medaillen zu holen, sind da. Das haben die Deutschen in dieser Saison gezeigt. Mitfavoritin für den WM-Titel im Kajak-Einer der Damen, Ricarda Funkt, sagt: „Natürlich weiß ich, dass ich gut drauf bin, dass ich das Zeug dazu habe, vorne mitzufahren. Allerdings ist jede Strecke anders, jede Toraushängung ist anders. Das muss man dann sehen. Ich freue mich auf jeden Fall auf den Wettkampf. Ich freue mich darauf, wieder Gas zu geben.“ Für die beiden anderen K1-Starterinnen Jasmin Schornberg vom KR Hamm und Elena Apel aus Augsburg – die zugleich auch im Canadier-Einer antreten – geht es neben einer guten Platzierung auch um den zweiten Platz im internen Olympia-Qualifikationsausscheid. Denn das zweite Boot ist auch für den Weltcup im nächsten Jahr gesetzt. Schornberg hat dabei extrem gute Erinnerungen an Seu: „Ich habe vor zehn Jahren dort die WM gewonnen. Daher ist es für mich etwas Besonderes, dort wieder bei einer WM am Start zu stehen - und das gleich in zwei Kategorien.“ Die 21-jährige Apel ist erst einen Wettkampf in Seu gefahren.
Bei den Kajak-Herren hat Weltmeister Hannes Aigner mit der Strecke in Seu noch eine Rechnung offen. Zwar hat er viele positive Erinnerungen an den Kanal: „Ich habe dort 2010 mein erstes Weltcup-Finale fahren können und damals den Sprung in die Weltspitze geschafft“, sagt er. Und auch in den vergangenen Jahren konnte er sich dort bei Weltcups viele vordere Platzierungen erpaddeln. Aber: „Auf dem Treppchen war ich dort noch nie. Und so hoffe ich, dass ich das dieses Jahr vielleicht ändern kann“, sagt er. „Als aktueller Weltmeister will ich natürlich versuchen, in die Medaillenränge hinein zu fahren. Und im Idealfall auch noch einmal gewinnen. Das ist natürlich ein sehr ambitioniertes, schwieriges Ziel. Ich will es auf jeden Fall den anderen schwer machen, mir den Titel wegzunehmen. Die Saison war natürlich sehr anstrengend, aber ich fühle mich trotzdem gut vorbereitet, um in Seu noch einmal zu zeigen, was ich kann.“ Die beiden anderen K1-Spezialisten Tim Maxeiner (Wiesbaden) und Fabian Schweikert (Waldkirch) sehen ebenfalls optimistisch den Wettkämpfen entgegen. „Dank unserer gezielten Vorbereitung auf die WM haben wir uns entsprechend an die Strecke gewöhnen können. Trotzdem werden beispielsweise die Spanier und Franzosen, die ihr Jahresquartier in Seu haben, nochmals mehr Erfahrung auf der Strecke haben als wir“, sagt Maxeiner. Er feierte vor zehn Jahren in Seu sein Weltmeisterschaftsdebüt. „Von dieser WM 2009 habe ich vor allem noch den Sieg von Jasmin im Kopf. Es wäre natürlich schön, wenn sie diesen Titel nochmal wiederholen und somit meine Erinnerungen etwas auffrischen könnte“, sagt er mit einem Augenzwinkern.“ Und Schweikert meint: „Ich erwarte sehr spannende Wettkämpfe, da die Strecke in Seu eher als leicht einzustufen ist und damit wenig Spielraum für Fehler erlaubt. Bisher lief die Vorbereitung super und von Einheit zu Einheit lernen wir mehr Feinheiten der Strecke kennen.“
Bei den C1-Herren wird es zwischen Franz Anton und Sideris Tasiadis zum großen, internen Kampf um den Olympia-Platz kommen. Noch hat der Augsburger mit 28:25 Punkten die Nase vorn. Klar ist, dass der Leipziger bestes deutsche Boot werden muss. Aber nur ein Platz vor dem Augsburger muss nicht unbedingt reichen. (Die Nominierungskriterien sind im Anhang der Mail). Doch von all den Rechnungen will sich Weltmeister Anton nicht verrückt machen lassen. „Natürlich habe ich vor, meinen Weltmeistertitel hier zu verteidigen und mir auch die Qualifikation für die Olympischen Spiele zu sichern. Ich weiß, dass Sideris sehr gut trainiert hat und andere internationale Fahrer in Seu natürlich auch ihre Qualifikation ausfahren. Hauptsache, ich bin mit meiner Leistung zufrieden und kann meine Leistung abrufen, das ist mein Ziel. Wenn dann jemand schneller war als ich, dann war das halt so“, sagt Anton. Der dritte deutsche Canadierfahrer, Florian Breuer aus Augsburg, hat aufgrund von Verletzungen mit Trainingsrückständen zu kämpfen. Dennoch ist er optimistisch: „Die Strecke liegt mir dank der zwei Vorbereitungslehrgänge ziemlich gut, und ich fühle mich optimal vorbereitet. Die Strecke hat allerdings ihre Tücken. Man ist dazu verdonnert, die richtige Line zu treffen, da sonst die Zeit davonrennt“, sagt er.
Spannend um das Olympia-Ticket wird es auch bei den Damen im Canadier-Einer. Derzeit liegt Andrea Herzog mit 27:22 Punkten vor Elena Apel. Die Entscheidung fällt also bei der WM. „Meine Erinnerungen an die Strecke sind ganz gut. Bei den beiden Wettkämpfen, die ich in Seu bisher gefahren bin, wurde ich Fünfte und Vierte. Laut Tendenz wäre also ein dritter Platz dran, aber schauen wir mal“, sagt Herzog. Ihre nationale Konkurrentin Apel hat beim Heim-Weltcup allerdings auch angedeutet, welches Potenzial sie hat. Unglücklich kassierte sie dort eine 50-Sekunden-Strafe, die sie das Finale kostete. Für Jasmin Schornberg gibt es mit 17 Punkten noch eine theoretische Chance, bestes deutsches C1-Boot zu werden.
Doch bevor es um Titelverteidigungen, Olympia- und Quotenplätze geht, beginnen die Weltmeisterschaften zunächst mit den Team-Wettbewerben am Mittwoch. So sagt Sideris Tasiadis: „Im Teamwettbewerb haben wir uns alle vorgenommen, ganz vorne mitzufahren.“ Und C1-Spezialist Florian Breuer ergänzt: „Wir wollen den fünften Platz von der EM bei der WM wieder gut machen - am besten mit Edelmetall.“ Ricarda Funk sagt: „Für die Mannschaftswettbewerbe nehmen wir uns vor, dass wie einen schönen, runden Lauf haben, weil die Kehrwasser sehr eng, schmal und klein sind. Deshalb wird das Timing von den Abständen her relativ schwierig einzuschätzen sein.“ Und Jasmin Schornberg ergänzt: „Ich hoffe, dass wir in der Mannschaft aufs Treppchen fahren.“
Quelle: DKV/DOSB