EM

Neustart mit 26: Der harte Weg der Yvonne Li

Deutschlands beste Badmintonspielerin gibt ihrer Karriere nach zwei langwierigen Verletzungen und dem Wechsel vom Bundesstützpunkt Mülheim in ihre Heimat Hamburg bei der EM in Dänemark in dieser Woche neuen Schwung.

6 Minuten Lesezeit veröffentlicht am 08. April 2025

Ein Neustart der Karriere

Ein wenig komisch wird es sich anfühlen, das verhehlt Yvonne Li nicht. Wenn die 26-Jährige an diesem Mittwoch in Horsens (Dänemark) bei der Einzel-EM im Badminton nach Freilos in Runde eins zu ihrem Auftaktmatch gegen Keisha Fatima Azzahra (Aserbaidschan) antritt, ist es für sie wie ein Neustart der Karriere. „Ich bin hier mit gemischten Gefühlen angereist. Auf der einen Seite kann ich nach der langen Pause sportlich keine Wunderdinge erwarten, was mich entspannter sein lässt. Auf der anderen Seite will ich meine beste Leistung zeigen, was Druck erzeugt. Aber ich bin auf jeden Fall froh, dass es wieder losgeht“, sagt die deutsche Nummer eins.

Dass sie diesen Status noch immer hat, obwohl sie eine lange Leidenszeit und eine einschneidende Entscheidung hinter sich bringen musste, spricht für die Qualität, die die Tochter chinesischer Eltern im schnellsten Rückschlagspiel der Welt auf den Court bringt. Yvonne Li war zu ihrer besten Zeit 2023 auf Rang 21 der Weltrangliste zu finden, aktuell wird sie an Position 94 geführt. Die Gründe dafür sind vielfältig, in erster Linie liegen sie aber im körperlichen Bereich. Eine Knieverletzung warf sie im vergangenen Jahr vor den Olympischen Spielen in Paris zurück, ein Ermüdungsbruch im rechten Mittelfuß zwang sie in den vergangenen drei Monaten zur Pause. Mitte Oktober war ein Knochenödem festgestellt worden, vier Tage vor den Hylo Open in Saarbrücken, einem der zwei deutschen Topturniere. „Ich habe schweren Herzens für Saarbrücken abgesagt, dann aber zu früh wieder angefangen, um die Asien-Tour zu spielen. Mitte Dezember im Rahmen der Team-EM-Qualifikation habe ich gespürt, dass etwas mit dem Fuß immer noch nicht stimmte“, sagt Yvonne.

Wiedereinstieg mit wenig Wettkampfpraxis

Von den Ärzten immer wieder zum Nichtstun verdonnert zu werden, habe sie mental stark belastet. Die Diagnose Mittelfußbruch, die Anfang Januar gestellt wurde, kam wie ein Schock, da sie zuvor einen Monat komplett pausiert hatte und es trotzdem zum Ermüdungsbruch gekommen war. Seit drei Wochen ist die Rechtshänderin nun wieder voll im Training, „und ich habe Vertrauen in den Fuß, was gut für den Kopf ist“, sagt sie. Aber weil ihr seit Mitte Dezember die Wettkampfpraxis fehlt, ist sie selbst gespannt darauf, wie ihr der Wiedereinstieg gelingen wird. „Wird schon werden, Badminton ist schließlich das altbekannte Brot“, sagt sie.

So viel Gelassenheit war nicht immer die Regel bei Yvonne Li, die in der Vergangenheit bisweilen darunter litt, sich zu sehr unter Druck zu setzen und darunter die Lockerheit einzubüßen, die ihrem Spiel hilft. Bei den Olympischen Spielen in Paris hatte sie dann das Pech, eine extrem schwere Vorrundengruppe erwischt zu haben. Dennoch gelang es ihr, gegen die Topspielerinnen Chen Yu Fei aus China (14:21, 21:17, 9:21) und Mia Blichfeldt aus Dänemark (14:21, 21:14, 12:21) auf Augenhöhe mitzuhalten. „Das war schon bitter. Ich hatte aus meiner Sicht vielleicht mein bestes Badminton gespielt, und fand es deshalb etwas schade, nicht für noch mehr Aufmerksamkeit für meinen Sport sorgen zu können“, sagt sie.

Einen Schritt zurück und zwei nach vorne

Weil das Abschneiden in Paris, gepaart mit den langen Verletzungspausen, zum Absturz in der Weltrangliste geführt hat, steht Yvonne Li nun vor der Herausforderung, sich nach sechs Jahren in der Weltspitze „wieder von unten durchzuprügeln. Ich glaube aber, dass ich daraus sehr viel ziehen und mir hoffentlich über mehr Siege Selbstvertrauen holen werde.“ Als sie in den Top 30 stand, habe sich das manchmal angefühlt wie eine Wand, an der sie nicht vorbeikam, „es hat sich nichts mehr nach vorn bewegt. Nun ist es vielleicht gut, einen Schritt zurück zu machen, um zwei nach vorn gehen zu können.“

Damit dies gelingt, hat Yvonne Li im Herbst vergangenen Jahres ihr Umfeld umgekrempelt. Nach zehn Jahren am Bundesstützpunkt in Mülheim (Ruhr), wo sie als Elftklässlerin gestartet war, hat sie sich für die Rückkehr in ihre Geburtsstadt Hamburg entschieden. Dort hatte sie beim Hamburger SV, an den sie ein Teil ihrer E-Mail-Adresse bis heute erinnert, mit dem Badminton begonnen. Nachdem der Verband im Zuge einer Umstrukturierung entschieden hatte, Frauen und Männer in einem Elite-Stützpunkt in Saarbrücken zusammenzuziehen und lediglich das Dameneinzel-Eliteteam in Mülheim zu belassen, war bei der Spitzenspielerin das Gedankenkarussell in Fahrt gekommen. „Mir war klar, dass ich weiterspielen will, weil ich einige Ziele noch nicht erreicht habe. Aber für mehr Nachhaltigkeit musste ich etwas an meinem Umfeld verändern”, sagt sie.

Zwar habe es für alle Standorte gute Argumente gegeben, den Ausschlag für Hamburg, wo am Bundesstützpunkt Nachwuchs traditionell gute Arbeit geleistet wird, gab jedoch die in Aussicht gestellte individuelle Förderung. „In Oliver Pongratz ist dort ein Toptrainer als Stützpunktleiter, dazu kommen die herausragenden Landestrainer Eric Pang und Yao Jie für das Einzel, mit denen ich eine tolle Chemie habe. Die Gespräche waren so super, dass ich überzeugt bin, dass das ein richtig positives Projekt werden wird”, sagt sie. Dass es keine adäquaten Trainingspartnerinnen aus dem weiblichen Bereich gibt, stört sie nicht. „Ich bin es gewohnt, männliche Sparringspartner zu haben, und die gibt es in Hamburg im Nachwuchs. Außerdem schätze ich die räumliche Nähe zum Olympiastützpunkt mit allen wichtigen Einrichtungen sehr.”

Yvonne will in Hamburg ihr Sozialleben wieder auffrischen

Dazu komme, dass sie auch ihr Sozialleben in der Heimat wieder auffrischen könne. „Meine Familie ist hier, ich habe noch viele Freunde aus alten Zeiten. Das soziale Leben hat in Mülheim nicht so funktioniert. Badminton bedeutet mir zwar immer noch sehr viel, aber ich will nicht in ein paar Jahren, wenn ich aufhöre, ohne etwas dastehen und keine sozialen Kontakte mehr haben”, sagt sie. Den Masterstudiengang in Wirtschaftsingenieurwesen, den sie an der Uni Duisburg/Essen absolviert, aber selten in Präsenz wahrnehmen konnte, wird sie aus der Ferne zu Ende bringen. Nachdem sie übergangsweise bei ihren Eltern in Norderstedt wohnte, hat sie nun eine eigene Wohnung in der Nähe des Stützpunktes im Hamburger Stadtteil Dulsberg.

„Ich habe mich bewusst für diesen Weg entschieden und bin sehr gespannt, wohin er mich führt”, sagt sie und strahlt dabei derart verräterisch, dass Zweifel an der Richtigkeit ihrer Entscheidung gar nicht erst aufkommen. Ihr Fernziel ist nun, 2028 in Los Angeles in der bestmöglichen Form anzutreten und bei ihren dritten Olympischen Spielen den Traum, zumindest die Vorrunde zu überstehen, endlich wahr zu machen. „Dazu muss ich nun aber all das bewältigen, was dazugehört, um eine Topspielerin zu sein. Wie bestreite ich Wettkämpfe optimal, wie sieht die Vorbereitung aus und wie gelingt die Finanzierung – das sind die Fragen, die ich beantworten muss”, sagt sie.

Insbesondere das monetäre Auskommen bereitet ihr Kopfzerbrechen. Wie hart das deutsche Badminton um die Existenz kämpft, wurde kürzlich öffentlich, als der Verband aus finanziellen Gründen keine Spieler*innen zur Team-WM entsenden konnte. „Badminton ist in Deutschland so absolut Randsport, dass viele gar nicht wissen, dass wir überhaupt ein internationales Wettkampfsystem haben. Es ist hart zu sehen, wie unser Stellenwert ist”, sagt Yvonne. Bei Partien gegen Weltklassegegnerinnen habe es sich oft „nicht so angefühlt, als wäre es ein Duell eins gegen eins, sondern eins gegen fünf, wenn ich gesehen habe, was für ein Betreuerteam auf der anderen Seite zur Verfügung stand.”

In Deutschland für Dortelweil, in Polen für ABRM Warschau

Nun in Eigenregie einen eigenen Weg zu gehen, macht das Ganze noch einmal komplizierter. „Zum Glück habe ich in der Phase, als ich in den Top 30 stand, ordentlich verdient, so dass ich nun ein paar Rücklagen habe, die ich einsetzen kann. Ich stelle mich darauf ein, dass ich viel privates Geld in meine Leidenschaft stecken muss, aber ich will es so sehr, dass es mir das wert ist.” Im vergangenen Jahr hat sie einen Managementvertrag mit einer Firma aus Dänemark, wo Badminton sehr beliebt und entsprechend gefördert ist, abgeschlossen. Diese hat sie dabei unterstützt, den zum Jahresende ausgelaufenen Vertrag mit ihrem Ausrüster zu neuen Konditionen zu verlängern.

„Weitere Einnahmequellen stehen und fallen leider damit, ob man fit ist, da haben mich die Verletzungen auch ziemlich zurückgeworfen. Ich möchte aber unbedingt verhindern, dass ich komplett von Preisgeldern abhängig werde, um meine Reisekosten einigermaßen abdecken zu können”, sagt sie. Finanzierungshilfe leistet die Stiftung Deutsche Sporthilfe, die ihr unter anderem ein Studienstipendium besorgt hat, und die Sportstiftung Hessen. In dem Bundesland spielt sie für den deutschen Mannschaftsmeister SV Fun-Ball Dortelweil in der Bundesliga, zudem tritt sie mit Zweitspielrecht für ABRM Warschau in Polens Eliteklasse an.

Es ist ein harter Weg, auf den Yvonne Li sich in dieser Woche in Horsens macht. Aber sie glaubt fest daran, dass er sie an das Ziel führt, das sie sich gesteckt hat. Und dass aus einem komischen Gefühl die Gewissheit wird, das Richtige getan zu haben.