Bei der Tischtennis-EM können die deutschen Männer den achten Titel im Team holen. Obwohl die Konkurrenz in Europas Elite groß ist, gelten Timo Boll und Co. als erster Anwärter auf den Titel. Der DTTB stellt das ausgeglichenste Team des Kontinents.
Vorsicht ist dennoch geboten: Die Abstände in der Weltelite sind klein und andere spielen inzwischen auf Augenhöhe. Ein Beispiel dafür: Mathias Falck. Der Schwede legt aktuell eine fantastische Saison hin, wurde im April im Einzel sogar Vizeweltmeister. Nicht umsonst löste er danach das erste Mal seit elf Jahren einen Deutschen als besten Europäer ab. Davor hatten Dimitrij Ovtcharov und Timo Boll sich an der Spitze Europas immer abgewechselt. "Er hat sich die Position des besten Europäers verdient. Aber wir werden ihn jagen", sagte Boll zuletzt. Das klappte - pünktlich zur EM ist Boll in der Weltrangliste wieder bester Spieler des Kontinents.
Hoffnung auf den achten Titel im Team macht die gute Form aller drei Spitzenspieler. Bei den Czech Open, der Generalprobe vor der EM, schaffte es Ovtcharov bis ins Finale. Auch Boll und Patrick Franziska, die im Halb- und im Viertelfinale ausschieden, stellten unter Beweis, dass sie gewillt sind, ihr bestes Tischtennis abzurufen. Trumpf des DTTB könnte Franziska sein: Er hat in diesem Jahr den absoluten Durchbruch geschafft, schlug im Sommer sogar zwei der Topchinesen.
Zum Jagen tragen muss man Timo Boll und Co. zwar noch nicht - doch bei der Mannschafts-EM ab Dienstag in Nantes gehen die klar favorisierten deutschen Tischtennis-Asse nur wider Willen an die Platte. Die immer brutalere Terminhatz - die EM ist schon das dritte Großereignis dieses Jahres - bringt die Topstars zunehmend an ihre Grenzen. "Wir sitzen nicht am längeren Hebel. Es wird schlechter als besser werden", schimpfte der frühere Weltranglistenerste Dimitrij Ovtcharov (Hameln/Orenburg) in einem Deutschlandfunk-Interview vor der Abreise nach Frankreich über die weiter wachsende Flut von Turnieren.
Nicht zuletzt wegen der ausgeklügelten Verzahnung von Wettbewerben sind die Aktiven oft machtlos. "Ich muss irgendwo einen Strich ziehen, um meinem Körper nicht zu viel zuzumuten", begründete EM-Rekordchampion Boll (Düsseldorf) zuletzt seinen künftigen Verzicht auf DM-Teilnahmen. Ovtcharov spricht verärgert von einem "System, dass es ausreizt."
Unterstützung erhält der Olympiadritte von 2012 durch Bundestrainer Jörg Roßkopf. "Der Weltverband", klagte der Ex-Doppelweltmeister im EM-Vorfeld, "übertreibt es total mit dem Terminkalender. Es gibt zu viele Turniere. Die Kuh soll gemolken werden, so lange sie Milch gibt." Das Prinzip funktioniert aber auch zu gut: Die Einzel-WM im vergangenen Frühjahr in Budapest war ein Muss, und bei den folgenden Europaspielen in Minsk konnten die Deutschen sich durch die maximale Ausbeute von Startplätzen beim Olympia-Turnier 2020 wenigstens etwas Freiraum für die Vorbereitung auf Tokio verschaffen.
"Die Zusammenlegung von Europaspielen und EM wäre eine Chance gewesen, den Terminkalender zu entzerren", sagte Sportdirektor Richard Prause vom Deutschen Tischtennis-Bund (DTTB) und moniert die mangelnde Bereitschaft und Fantasie der internationalen Verbände zur Rücksichtnahme auf die Aktiven. Wohl oder über spielen Boll, Ovtcharov und ihre Mitstreiter das Spiel also mit: Bei der EM können eben neben Titel und Medaillen auch Prestige und vor allem Aufmerksamkeit gewonnen werden.
Zumal den DTTB-Teams in Nantes sogar der zweite Doppel-Triumph der EM-Historie nach 2013 winkt. Als Europaspiele-Sieger sind Roßkopfs Vizeweltmeister und Titelverteidiger sowie die Olympiazweiten von Damen-Bundestrainerin Jie Schöpp zumindest Goldkandidaten Nummer eins. "Für uns zählt nur der Titel", unterstrich Boll die Ansprüche der "Chinesen Europas". Durch eine Modusreform ist der Weg zum achten Kontinentaltitel nur noch fünf Spiele lang, dafür aber der Vorrundensieg in einer Gruppe mit Tschechien (Mittwoch/16.00 Uhr) und Russland (Donnerstag/16.00 Uhr) für den Viertelfinaleinzug auch Pflicht. Mit drei Top-15-Spielern (Boll, Ovtcharov und Patrick Franziska/Saarbrücken) sollte nicht nur diese Hürde für Roßkopfs Team locker zu nehmen sein.
Die DTTB-Damen, die in den Gruppenspielen auf Slowenien (Mittwoch/19.00 Uhr) und Italien (Donnerstag/16.00 Uhr) treffen, wollen durch den ebenfalls achten Titelgewinn die Scharte der Finalniederlage von 2017 gegen Rumänien auswetzen. "Nach Gold in Minsk sagen wir natürlich nicht, dass wir nur Zweiter werden wollen. Wir wollen gewinnen", lautet Schöpps Vorgabe.
Das Aufgebot des DTTB in Nantes
Herren
Timo Boll (Borussia Düsseldorf, Weltrangliste: 7, Europarangliste: 2)
Dimitrij Ovtcharov (Fakel Gazprom Orenburg/Russland, WR: 12, ER: 3)
Patrick Franziska (1. FC Saarbrücken TT, WR: 15, ER: 4)
Benedikt Duda (TTC Schwalbe Bergneustadt, WR: 37, ER: 15)
Ruwen Filus (TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell, WR: 40, ER: 18)
Damen
Petrissa Solja (TSV 1909 Langstadt, WR: 21, ER: 3)
Han Ying (KTS Zamek Tarnobrzeg/Polen, WR: 30, ER: 6)
Nina Mittelham (ttc berlin eastside, WR: 41, ER: 12)
Shan Xiaona (ttc berlin eastside, WR: 100, ER: 45)
Yuan Wan (TTG Bingen/Münster-Sarmsheim, WR: 172, ER: 77)
Der Zeitplan und die Spiele der Deutschen
Herren, Gruppe A: Deutschland, Russland, Tschechien
Damen, Gruppe B: Deutschland, Italien, Slowenien
Die Spielreihenfolge in den Vorrundengruppen ist 2 – 3, 1 – 3 und 1 – 2.
Dienstag, 3. September
19 Uhr
Herren, Gruppe A: Russland – Tschechien, Deutschland hat spielfrei
Damen, Gruppe B: Italien – Slowenien, Deutschland hat spielfrei
Mittwoch, 4. September
16 Uhr
Herren, Gruppe A: Deutschland – Tschechien
19 Uhr
Damen, Gruppe B: Deutschland – Slowenien
Donnerstag, 5. September
16 Uhr
Herren, Gruppe A: Deutschland – Russland
Damen, Gruppe B: Deutschland – Italien
Freitag, 6. September
10 Uhr: 1. Viertelfinale Damen und Herren
13 Uhr: 2. Viertelfinale Damen und Herren
16 Uhr: 3. Viertelfinale Damen und Herren
19 Uhr: 4. Viertelfinale Damen und Herren
Samstag, 7. September
10 Uhr: 1. Halbfinale Damen
13 Uhr: 2. Halbfinale Damen
16 Uhr: 1. Halbfinale Herren
19 Uhr: 2. Halbfinale Herren
Sonntag, 8. September
13 Uhr: Finale Damen
16 Uhr: Finale Herren
Im Anschluss an das Herren-Finale finden beide Siegerehrungen statt.
Autor: DOSB/ SID/ Sportschau.de