Alexander Zverev blickte nach einem der größten Siege seiner Karriere überwältigt gen Himmel, dann vergrub er das Gesicht in beiden Händen, sackte in die Knie und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Die deutsche Nummer eins hat im Halbfinale des olympischen Tennisturniers den scheinbar unbezwingbaren Novak Djokovic aus dem Weg geräumt und dessen Traum von Golden Slam wie eine Seifenblase platzen lassen. Für Zverev ist die ersehnte Medaille sicher - und Gold nur noch zwei Sätze entfernt.
Der Weltranglistenfünfte aus Hamburg siegte am Freitag mit 1:6, 6:3, 6:1 gegen den Grand-Slam-Rekordchampion aus Serbien. Mit der drohenden Niederlage vor Augen startete Zverev im zweiten Satz ein Wahnsinns-Comeback und ließ Djokovic keine Chance mehr. Und als der schon lange den Court verlassen hatte, saß Zverev noch immer auf der Bank und heulte in sein Handtuch.
Im Endspiel am Sonntag kämpft der 24-Jährige gegen Karen Chatschanow um die erste Goldmedaille für den Deutschen Tennis Bund (DTB) im Männer-Einzel überhaupt - und ist klar favorisiert. Vor 21 Jahren in Sydney hatte Tommy Haas Silber gewonnen.
Gleichzeitig verteidigte Zverev das Alleinstellungsmerkmal der deutschen Ikone Steffi Graf. Sie bleibt der einzige Tennisprofi, der den sogenannten Golden Slam schaffte, den Gewinn aller vier Grand-Slam-Turniere und der olympischen Goldmedaille in einem Kalenderjahr. Graf gelang dies 1988, Djokovic hat in diesem Jahr bereits die Major-Titel in Melbourne, Paris und Wimbledon geholt.
"Es ist wichtig, dass Sascha aktiv und offensiv spielt und die Punkte beherrscht", sagte Bundestrainer Michael Kohlmann, der neben Doppel-Spezialist Kevin Krawietz von der Tribüne aus anfeuerte. Und Zverev ging von Beginn an hohes Risiko und gab in den Grundlinienduellen den Ton an, doch mit einem völlig missratenen Überkopfball leitete der 24-Jährige Djokovics erstes Break zum 3:1 ein. Der Serbe wurde dominanter, Zverev streute leichtere Fehler ein.
Mit Satz eins in der Tasche bot Djokovic dem Deutschen auf einmal Chancen, doch der nahm diese nicht an. Der Frust saß entsprechend tief: Erst pfefferte Zverev seinen Schläger auf den Court, nach Djokovics Break zum 3:2 feuerte er einen Ball entnervt auf die oberen Ränge, das Match schien entschieden - doch dann startete Zverev sein sensationelles Comeback.
Acht (!) Games in Folge gewann er, mit jedem Punkt wurde die Brust breiter - so hilflos hatte man Djokovic schon lange nicht mehr gesehen, Zverev spielte wie im Rausch. Nach 2:03 Stunden versetzte er dem gescheiterten Jäger des Golden Slam den K.o, DOSB-Präsident Alfons Hörmann jubelte auf der Tribüne ausgelassen mit.
Der letzte Sieg gegen den Ausnahmekönner lag bereits zweieinhalb Jahre zurückgelegen, als Zverev im Endspiel der ATP Finals den bislang größten Titel seiner Karriere holte. Der Gewinn einer Olympiamedaille, womöglich sogar einer goldenen, kann da mindestens mithalten.
Quelle: DOSB/SID