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Kunstturn-WM in Stuttgart: Titelkämpfe der Superlative

Hervorragend organisiert, mit innovativen Konzepten zur Nachhaltigkeit und einer unvergleichlichen Atmosphäre setzte die WM neue Zeichen. Die Begeisterung und die enthusiastische Stimmung des Stuttgarter Publikums haben die 540 Turnerinnen und Turner aus 92 Ländern zu Höchstleistungen beflügelt und die Faszination des Turnens in die Öffentlichkeit getragen.

Autor: DOSB
3 Minuten Lesezeit veröffentlicht am 13. Oktober 2019

Lukas Dauser bedankte sich artig beim Publikum und kämpfte gleichzeitig mit den Tränen: Eine Millisekunde der Unachtsamkeit hat der deutsche Turner zum Abschluss der Kunstturn-Weltmeisterschaften in Stuttgart die greifbar nahe Medaille am Barren gekostet. Statt umjubelt auf dem Siegerpodium zu stehen, schlich der Unterhachinger mit tief gebeugtem Rücken todtraurig aus der Halle. "Das fühlt sich jetzt als ziemlich heftiger Schlag an", sagte der deutsche Riegenkapitän nach seinem Missgeschick. Beim Makuts verlor Dauser das Gleichgewicht und musste das Gerät vorzeitig verlassen. Die frustrierte Trotzreaktion: "Jetzt esse ich erstmal ein Stück Schokolade und trinke ein Bier."

Vor und nach dem Patzer turnte der Wahl-Berliner auf Medaillenkurs, am Ende stand der bittere achte Platz. Dauser hatte in der Qualifikation den Bestwert geturnt und damit seine Konkurrenten ziemlich überrascht. Während der Sportsoldat nach seiner riesigen Enttäuschung von allen Seiten Trost und Zuspruch erfuhr, kassierten die WM-Organisatoren seitens des Turn-Weltverbandes FIG höchstes Lob. "Noch nie haben wir solch hervorragende Titelkämpfe gesehen", sagte FIG-Präsident Morinari Watanabe voller Anerkennung. Insgesamt wurden in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle 102.000 Besucher gezählt, unter ihnen am Schlusstag auch IOC-Präsident Thomas Bach. Eine vierte WM-Bewerbung nach 1989, 2007 und 2019 wird beim Deutschen Turner-Bund (DTB) bereits erwogen. Sie ist allerdings abhängig von einer neuen Austragungsstätte in der schwäbischen Metropole.

Noch überfordert war im Finale am Schwebebalken die Kölnerin Sarah Voss. Die 19-Jährige konnte zwar einen Sturz vom Gerät verhindern, leistete sich aber mehrere Wackler. Somit reichte es für die deutsche Mehrkampf-Meisterin nur zum siebten Platz unter acht Starterinnen. "Ich bin ja noch ein No-Name bei Weltmeisterschaften. Deshalb habe ich mich schon gefreut, nicht vom Balken gefallen zu sein. Die ganze WM ist für mich nur positiv gelaufen", sagte die deutsche Mehrkampf-Meisterin nach dem Finale. 

Dass ein erneuter Siegeszug von Simone Biles diese Welttitelkämpfe prägte, war keine Überraschung. Die US-Amerikanerin fügte ihren Titeln mit dem Team, im Mehrkampf und beim Sprung zwei weitere Goldmedaillen am Schwebebalken und am Boden hinzu. Lediglich am Stufenbarren war die Mehrkampf-Olympiasiegerin nicht vorne, insgesamt stehen jetzt 19 WM-Titel auf ihrer Habenseite. Mit nunmehr 25 WM-Medaillen überbot die 22-Jährige die bisherige Bestmarke des Weißrussen Witali Scherbo, der zwischen 1991 und 1996 23 WM-Plaketten erturnt hatte.

Auch Elisabeth Seitz hatte die erhoffte Medaille für den WM-Gastgeber am Samstag nicht liefern können. Die letztjährige WM-Dritte ging am Stufenbarren diesmal leer aus und wurde nur Achte. Der Versuch, ihre Übung durch eine spezielle Verbindung noch schwieriger zu machen, endete mit einer unfreiwilligen Unterbrechung der Kür. Trainer Robert Mai raufte sich die wenigen Haare, empfing seinen Schützling ungeachtet des Missgeschicks aber mit einer tröstenden Umarmung. Auch Reck-Olympiasieger Fabian Hambüchen drückte Seitz mitfühlend an sich.

"Die anderen Turnerinnen haben mit den Höchstschwierigkeiten nur so um sich geworfen, deshalb musste ich alles riskieren. Natürlich bin ich ein bisschen enttäuscht, aber bin immer noch die achtbeste Stufenbarrenturnerin in der Welt", sagte Seitz. "Aber diese Heim-WM war trotzdem cool. Da ist Enttäuschung fehl am Platz und wäre auch unfair gegenüber meiner Leistung", sagte die Lokalmatadorin selbstbewusst. Schließlich hatte die 25-Jährige die deutsche Frauenriege ungefährdet durch die Olympia-Qualifikation geführt und sich anschließend mit einem sechsten Platz im Mehrkampf selbst übertroffen.

Die Männerriege indes konnte nur mit Mühe und ein bisschen Glück die Olympia-Qualifikation unter Dach und Fach bringen, ein Scheitern wäre ein Novum in der deutschen Kunstturn-Geschichte gewesen. DTB-Sportdirektor Wolfgang Willam sprach sogar von einem "Erdrutsch", den man gerade noch einmal vermeiden konnte. Traditionell finden im Olympiajahr bei den Kunstturnern keine Weltmeisterschaften statt. Die 50. Welttitelkämpfe werden 2021 in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen ausgetragen.

 

Autor: DOSB, SID, DTB